Artikel: Kinderbuchmacherin Alexandra Rak und Kinderbuchmacher Ralf Schweikart im Interview
 
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Alexandra Rak und Ralf Schweikart über die Lust auf Bücher

Die Fachleute haben einen genialen Ratgeber über Leseförderung für Kinder geschrieben. Darüber wollten wir mehr wissen ...

Leseliebe„Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn“, hat der argentinische Bibliothekar und Schriftsteller Jorge Luis Borges einmal gesagt. Wie geht das und warum sollten wir es tun?

Ralf Schweikart: Ein treffender Satz. Die amerikanische Kognitions- und Literaturwissenschaftlerin Maryanne Wolf hat ihn ihrem Buch „Schnelles Lesen, langsames Lesen“ aus wissenschaftlicher Sicht viele Argumente für das Lesen gesammelt. Eines der wichtigsten ist die Ausbildung unserer Empathie, die wir durchs Lesen fördern und schulen. Eben weil wir in andere Figuren schlüpfen und mit fremden Gehirnen denken lernen, in dem wir uns in sie hineinversetzen.

LeseliebeKindern Lust aufs Bücherlesen zu machen, darum dreht sich das Buch, an dem sechs ExpertInnen gemeinsam gearbeitet haben. Mal ketzerisch gefragt: Warum Bücher? Ist das Digitale nicht viel zeitgemäßer?

Ralf SchweikartDigitale Medien nehmen immer mehr Zeit in unserem Alltag ein, auch und gerade bei Kindern und Jugendlichen. Das belegen aktuelle Studien wie die JIM, die Studie „Jugend, Information, Medien“. Weil Lesen arbeitsintensiver ist als Videos anzuschauen oder mit Freunden zu chatten. Da Lesen keine Möglichkeit der Ablenkung zulässt wie etwa einen Second Screen. Aber wenn Bücher doch eine wichtige Rolle spielen, dann analog. Kinder und Jugendliche schätzen das gedruckte, haptisch begreifbare Buch. Aber es geht uns in unserem Buch gar nicht vorrangig um oft überbewertete Systemfrage, sondern um die grundsätzliche Lust am Lesen, die wir so wichtig finden.

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Wie lesen Kinder Bücher

LeseliebeMädchen lesen, Jungs eher nicht, heißt es oft. Stimmt das? Wie ist es zu erklären? Und: muss das so sein?

Ralf SchweikartJa, diese Einschätzung ist noch immer richtig, genauso wie die Einschätzung, dass das Interesse an Büchern und Lesen bildungsabhängig ist. Es gibt viele Initiativen, die diese starren Zuschreibungen aufbrechen wollen, aber das erweist sich als schwierig. Also: Es muss nicht so sein, aber es bedarf in der Regel viel persönlichen Aufwand und persönliche Begleitung, um das zu ändern. Aber es geht.

LeseliebeEin abwechslungsreiches Layout und die witzigen Illustrationen von Regina Kehn machen die Lektüre Ihres Buches einmal mehr zu einem lustvollen Streifzug durch den Kosmos der Leseförderung. Welche Rolle spielen Illustrationen im Zusammenhang mit der Lesemotivation?

Alexandra RakIllustrationen spielen eine enorme Rolle. Das fängt schon beim Cover an, spricht es mich an oder nicht? Und das hat dann auch nichts mit richtig oder falsch zu tun, sondern mit ganz persönlichen Vorlieben. Innerhalb eines Buches sorgen Illustrationen im besten Fall für Erweiterungen der Geschichten, sie unterstützen das Gelesene und das Kind schafft mit ihnen Strecke. Es bewältigt also zügiger ein Kapitel, was zur Lesemotivation beiträgt. Deswegen spielen Comic und Graphic Novel gerade auch bei Jungs eine zentrale Rolle, was die Lust am Lesen betrifft.

LeseliebeDas Daheimbleiben, das wir alle derzeit erleben, ist für viele Familien eine hohe Belastung. Nicht nur die Erwachsenen, auch Kinder und Jugendliche sind in dieser Situation extrem gefordert. Können Bücher dabei eine Hilfe sein?

Alexandra RakBücher können Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Atempausen verschaffen. In dem sie sich von Autor*innen an die Hand nehmen lassen und in andere Welten abtauchen, bekommen sie einen wohltuenden Abstand zum Alltag. Für diejenigen, die des Lesens noch nicht so mächtig sind, sollte aber auf keinen Fall Druck aufgebaut werden, so nach dem Motto: Jetzt ließ doch mal, warum hast du denn keine Freude daran. Je nach Alter kann man innerfamiliär dann vielleicht eher einen Vorlese-Slam veranstalten oder an die Tradition der Abendgeschichte anknüpfen. Das geht auch über weite Distanzen hinweg. Unsere Nachbarin verabredet sich mit ihren Enkeln jeden Abend über Skype und liest ihnen eine halbe Stunde vor.

Leseliebe: Zum Schluß fragen wir unsere Leseexeperten natürlich noch nach ein paar Buchtipps!

Ein Lieblingsbuch als Kind: 

Ralf Schweikart: Ja, ich gebe es zu, ich war ein mittelgroßer Karl May-Fan und habe selbstverständlich bei Winnetou  geheult wie ein Schlosshund. Mittelgroß deshalb, weil ich nicht mehr als die Old Shatterhand- und Kara Ben Nemsi-Titel besaß. Ich befürchte, damit wird man heute kaum mehr einen Jugendlichen begeistern können, denn ich selber habe mich damals schon dabei ertappt, dass ich eher handlungs- denn beschreibungsgetrieben gelesen habe.

Alexandra Rak: Otfried Preußlers „Das kleine Gespenst“. Die Geschichte habe ich als Kindergartenkind kennengelernt, das kleine Gespenst ist dann in vielen von meinen gemalten Bildern aufgetaucht, und als ich das Buch selbst lesen konnte, bin ich noch einmal unheimlich gern in die Geschichte abgetaucht. Die Nacht wird zu einem Paralleluniversum der kindlichen Welt, verliert ihren Schrecken und fasziniert, und der bekannte Tag wird für das Gespenst zu einem gefährlichen Ort.

Eine starke Heldin:

Alexandra RakHermine in Harry Potter: Sie ist unerschrocken, wortgewandt, hat Grips und hält zu ihren Freunden. Und Tracy Baker von Jacqueline Wilson: Trotz nicht so guter Startbedingungen (sie lebt in einem Kinderheim) lässt sie sich nicht unterkriegen.

Ralf Schweikart: Jola in Martin Musers Kinderbüchern Kannawoniwasein! ist eine der neuen, starken Figuren. Selbstbewusst und mutig bildet sie mit Finn ein echtes Dreamteam, wenn es um aufregende Kinderabenteuer geht.

Eine aufregende Zeitreise: 

Alexandra RakKerstin Giers Bücher, Liebe geht durch alle Zeiten und Kristina Gehrman: Im Eisland. Die Franklin-Expedition-Bücher. Ganz unterschiedlich angelegt, das eine erzählende Romane, die anderen großartige Graphic Novels, beides auf ihre Art fesselnd!

Etwas ganz Neues:

Ralf Schweikart: Dita Zipfels Roman „Wie der Wahnsinn mit dir Welt erklärte“ ist irgendwo zwischen Kinderbuch und Jugendbuch, ein bisschen verrückt und unerklärlich und in seinem einerseits komischen, andererseits ernst und traurigen Ton schon ein Buch, das aus dem Rahmen fällt und neu ist.

immer und immer wieder:

Ralf Schweikart: Jim Knopf und die Lukas, der Lokomotivführer von Michael Ende. Ich bin kein großer Ende-Fan, aber als ich gezwungenermaßen daraus vorlesen musste, hat sich meine Skepsis immer mehr in große Freude verwandelt. Denn dabei habe ich erst gemerkt, wie Ende es schafft, Sprache und Gedanken in ein Kunstwerk zu verwandeln. Das ist absolut zeitlos.

Alexandra Rak: Bestimmt mehrmals lesen und auch nach ein paar Monaten oder Jahren wieder lohnt sich bei Andreas Steinhöfels „Rico und Oskar“ Büchern: liebenswürdig verpeilte Protagonisten, spannende Handlung, Szenen zum Lachen und toll geschrieben.

Ralf Schweikart

Ralf Schweikart ist Autor und Vorsitzender des Arbeitskreises für Jugendliteratur. Er  studierte Germanistik mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur, Soziologie und Kulturanthropologie in Frankfurt am Main. Er arbeitet als Redakteur, schreibt über Trends auf dem Buchmarkt und ist Juror u.a. bei "Die besten 7 - Bücher für junge Leser" und dem Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis.

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Alexander Schweikart

Alexandra Rak

Alexandra Rak studierte Germanistik mit dem Schwerpunkt Kinder- und jugendliterartur, Kunstpädagogik und Kulturanthropologie in Frankfurt am Main. Nach 10 Jahren Tätigkeit als Lektorin in einem Verlag arbeitet sie heute als freie Lektorin, Übersetzerin, Herausgeberin und Jurorin beim deutsch-französischen Jugendliteraturpreis.

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Alexandra Rak

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