Artikel: Kinderbuchmacherin Cornelia Franz im Interview
 
Image

Cornelia Franz über die Vermittlung schwieriger Themen

Wir fragen die Autorin eines preisgekrönten Buchs zur Flüchtlingskrise: Wie bringt man Kindern schwierige Themen nahe?

Leseliebe: Frau Franz, zunächst: Wie sind Sie zu einer ‚Kinderbuchmacherin‘ geworden? 

Cornelia Franz: Ich habe Bücher immer schon geliebt und war eine richtige Leseratte. Und bereits in der Grundschule hat sich gezeigt, dass ich ein Talent zum Schreiben und Geschichtenerzählen habe. Auf die eine oder andere Weise hatte ich dann auch fast immer mit Büchern zu tun: Germanistikstudium, Ausbildung als Verlagsbuchhändlerin, Arbeit als Lektorin. Mit Mitte Dreißig habe ich mich dann endlich daran gewagt, einen Roman zu schreiben. Und da ich etwas erzählen wollte, was ich als Vierzehnjährige erlebt habe, wurde es ein Jugendroman.

Leseliebe: Was macht ein gutes Kinderbuch für Sie aus?

Cornelia Franz: Es nimmt Kinder und Erwachsene auf spannende Weise mit in eine Welt, die sie berührt und bewegt.

Image
Cornelia Franz Hamburger Literaturpreis

Cornelia Franz bei der Verleihung des Hamburger Literaturpreises für "Calypsos Irrfahrt"

Leseliebe: In Ihrem Buch „Calypsos Irrfahrt“ machen Sie die Flüchtlingskrise für Kinder ab zehn Jahren greifbar. Da Sie ja auch für Jugendliche und Erwachsene schreiben: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie dieses schwierige Thema gerade in einem Kinderbuch umgesetzt haben?

Cornelia Franz: Ich wollte dieses Thema, das mich seit Jahren sehr beschäftigt, aus der Perspektive der Kinder erzählen, weil das für mich eine neue, ungewöhnliche Perspektive gewesen ist. Kinder haben viel Mut und Spontaneität – ohne die ewigen Bedenken, das Zweifeln und Zögern, dieses "Das-klappt-ja-doch-nicht", was viele Erwachsene daran hindert, Probleme zu lösen.

Leseliebe: Gibt es Ihrer Meinung nach Tabu-Themen für das Gespräch mit Kindern oder für Kinderbuchgeschichten? Oder kann (und sollte) man mit Kindern über alles reden?

Cornelia Franz: Ich denke nicht, dass es Tabu-Themen gibt. Wenn man die richtige Form und Sprache und Geschichte findet, kann man alles erzählen. Aber man muss es nicht.

Leseliebe: Mit „Calypsos Irrfahrt“ zeigen Sie, wie die Vermittlung schwieriger Themen gelingen kann. Was ist wichtig, um Kinder an solche Themen heranzuführen? Worauf haben Sie besonders geachtet?

Cornelia Franz: Ich habe versucht, eine Geschichte zu erzählen, die trotz der Schwere des Themas auch immer wieder etwas Leichtes, Unbefangenes, Abenteuerliches hat. Eine Geschichte, die nicht nur von Trauer und Verlust erzählt, sondern auch von Freundschaft und Solidarität.

Image
Calypsos Irrfahrt Karte

"Calypsos Irrfahrt" erzählt auch von einer abenteuerlichen Segeltour durchs Mittelmeer

Leseliebe: Wie kann ein Kinderbuch Eltern und Kindern bei der Auseinandersetzung mit einem schwierig-komplexen Thema helfen?

Cornelia Franz: Es kann dazu führen, dass Eltern und Kinder miteinander über dieses Thema reden. Und vielleicht erweitern sowohl die Kleinen als auch die Großen ihre Perspektive.

Leseliebe: Wann ist für welches Thema der richtige Zeitpunkt? Hängt das Ihrer Meinung nach von aktuellen Anlässen im Lebensumfeld, vom Alter des Kindes oder von ganz anderen Faktoren ab?

Cornelia Franz: Wenn ein Kind mit Interesse zuhört, wenn es sich auf die Geschichte einlassen kann, wenn es nicht "abschaltet", dann ist der Zeitpunkt richtig.

Leseliebe: Sie haben einen magischen Wunsch frei und dürfen drei Bücher bestimmen, die jedes Kind auf der Welt in seiner Kindheit liest. Abgesehen von Ihren eigenen, für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Cornelia Franz:

Ronja Räubertochter von Astrid Lindgren

Harry Potter und der Stein des Weisen von J.K. Rowling

Michel aus Lönneberga, Bd 1. Michel in der Suppenschüssel von Astrid Lindgren

Image
Kinderbuchautorin Cornelia Franz

Leseliebe: Welches Kinderbuch oder welche Lese-Situation hat in Ihrer eigenen Kindheit einen Eindruck hinterlassen, der bis heute nachwirkt und warum?

Cornelia Franz: Ich habe als Kind zu jedem Anlass einen Karl-May-Band bekommen. Ich bin in diese fremde Welt abgetaucht und auch die kompliziert-altmodische Schreibweise, die langen Sätze, die vielen unbekannten Begriffe haben mich nicht daran gehindert. Meine Abenteuerlust und mein Interesse am Reisen wurden ebenso geweckt wie mein Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Und meine Lesekompetenz hat sich dadurch sicherlich früh entwickelt.

Leseliebe: Ergänzen Sie doch netterweise den folgenden Satz für uns: Leseliebe ist …

Cornelia Franz: die Freude, zu entdecken, wie es in der Welt und in uns selbst aussieht.

Cornelia Franz über Calypsos Irrfahrt

Interview
Autorin

Cornelia Franz

"Ich schreibe, weil es das ist, was ich am besten kann. Und es ist immer wieder faszinierend! Ich bin jedes Mal gespannt darauf, was alles in der Geschichte passiert und wie die Figuren ihr Eigenleben entwickeln. Schreiben ist für mich wie Lesen und wie das Leben selbst: Man weiß nie genau, was alles auf einen zukommt."

Cornelia Franz hat erst Germanistik und Amerikanistik studiert und dann nach vielen Reise- und Job-Abenteuern eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin gemacht. Sie arbeitete mehrere Jahre als Verlagslektorin und begann 1993 eigene Bücher zu schreiben. Außerdem setzt sie sich als Mitbegründerin des „Hamburger VorleseVergnügens“ für die Leseförderung ein.

Bild: Cornelia Franz bei der Verleihung des Glauser-Preises für "Calypsos Irrfahrt"

Image
Cornelia Franz Glauser-Preis Calypsos Irrfahrt

Kommentar schreiben

Du bist nicht angemeldet! Melde dich jetzt an und du kannst sofort einen eigenen Kommentar verfassen.