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Gastbeitrag: Schief singen kann ich gut

Kinder lieben Musik. Leider haben wir Erwachsene viel zu oft falsche Hemmungen vor dem Singen und Tanzen.

Seit ich denken kann, liebe ich Musik. Ich war auf unzähligen Konzerten und Festivals, hatte mal einen Musikblog und studierte sogar Musikjournalismus. Auch während ich diesen Text hier schreibe, läuft Musik und nicht nur, um im Kopfhörer die Telefonkonferenz meiner Frau zu übertönen. Trotz aller Begeisterung und eines Studiums an einer Musikhochschule kann ich nur leidlich Notenlesen, auf der Gitarre nicht mehr als „A, B, C, der Hase sitzt im Klee“ und die ersten Takte von „Nothing Else Matters“ zupfen. Auch gesangstechnisch hätte ich bei Casting-Shows nullkommagarkeine Chancen. Und beim Tanzen schlägt die Freude das Talent um Längen. Das Schöne: Meinen kleinen Sohn stören diese rhythmischen Unzulänglichkeiten (noch) herzlich wenig und so tanzen wir regelmäßig durch das Wohnzimmer, stets begleitet durch schiefen Gesang. Besonders morgens vor der Kita ist das ein heißgeliebtes Ritual. Hoheit über die Playlist hat dabei der Nachwuchs. Und ich kann euch sagen, der hat einen ziemlich fragwürdigen Musikgeschmack. Erst gestern auf der Rückfahrt von der Kita sang er unentwegt „Upnwai“ – nach etwas Recherche stellte sich der Kauderwelsch als Refrain des 90er Jahre Hits „Up’N’Away“ von Mr. President voraus. Der Song bekam 1994 eine goldene Schallplatte und schaffte es trotzdem nicht in die Top 10 der Charts. Heute füllt er immerhin noch die Tanzfläche in unserer Kindergarten-Gruppe. Dort hat die Musik der 90er und frühen 00er Jahre gerade Hochkonjunktur. So kennt mein Kind inzwischen die Choreografie des Ketchup-Songs und den Macarena-Tanz. Arme nach vorne, Handflächen nach oben, Hüfte geschüttelt, Drehung mit Sprung.

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Kinderlieder und Reime

Geplagt von Matze der Eurodance-Katze

Natürlich versuchen wir uns auch an klassischen Kinderliedern. Der erste Song auf Hot Rotation war „Die Räder vom Bus“, intoniert von Simone Sommerland – eine Kindermusikerin, die keine eigenen Songs schreibt, dafür aber alles wegcovert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Inzwischen haben wir die sich ständig öffnenden Türen zum Glück hinter uns gelassen, genau wie Aramsamsam. Es wurde leider nur bedingt besser – Schuld daran ist unter anderem Volker Rosin. Ein grundsympathischer Mann mit Schnauzbart und viel guter Laune. Neben Rolf Zuckowski ist er wohl einer der einflussreichsten Kinderliedermacher dieser Tage. Als selbsternannter König der Kinderdisco hat er viele tolle und von uns sehr oft gesungene Kinderlieder geschrieben: „Das Lied über mich“, „Die Maus auf Weltraumreise“ oder „Der Gorilla mit der Sonnenbrille“. Gleichzeitig ist er auch für einige Anschläge auf die elterlichen Ohren verantwortlich. Eine Kinderversion des Ballermann-Hits „Wie heißt die Mutter von Niki Lauda?“ zum Beispiel. Die Antwort auf die Frage lautet übrigens Elisabeth, im Song liebevoll „Mama Lauda“ genannt. Diesen Song entdeckte mein Sohn in der Krippe, zeitweise mussten wir ihn jeden Morgen im Auto hören. Im Moment angesagt und nicht weniger fragwürdig ist „Matze die Katze“ – ein Song über eine Eurodance schätzende Felis catus. Das Problem: Man kann dazu zwar prima die Kiste schütteln, aber diese Songs bohren sich nach dem ersten Hören unauslöschlich in den elterlichen Gehörgang. Natürlich will ich mich nicht beschweren. Mit der morgendlichen Gesangs- und Tanzeinlage kommt wenigstens etwas Bewegung in den Homeoffice-Alltag und gemeinsam Musik zu erleben soll ja auch gut für Kinder sein.

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Kinderlieder und Reime

Spaß und Freude ja, Frühförderung nein

Und jetzt kommt kein Abschnitt über Frühförderung durch Klassik. Musik soll schließlich vor allem glücklich machen und Emotionen wecken. Ohnehin ist die These „Musik macht uns schlauer“ wissenschaftlich umstritten. Wir können unserem Nachwuchs also gerne schon im Mutterleib Mozart vorspielen oder später mit ihm zu Babykonzerten gehen. Das ist dann ein schönes Erlebnis, führt aber nicht zwangsläufig zu mehr Intelligenz oder besseren Leistungen in der Schule. Gleiches gilt übrigens auch für das Erlernen eines Instruments. Auch hier lassen sich keine leistungssteigernden Effekte auf Fähigkeiten in Fächern wie Mathematik, Lesen oder Schreiben eindeutig nachweisen. Aus meiner Sicht ist das eine tolle Nachricht: Musik wird so nicht zu einem Mittel übereifriger Frühförderung in Hoffnung auf akademische Höchstleistung, sondern macht vor allem glücklich und weckt vielfältige Emotionen. Für unsere Kinder ist sie eine tolle Möglichkeit, sich auszudrücken und Kreativität auszuleben. Umso wichtiger erscheint es mir, meinem Sohn eine klingende Welt mit auf den Weg zu geben. Wir haben inzwischen eine kleine Kinder-Gitarre und ein Schlagzeug angeschafft. Die meiste Freude hat mein Sohn derzeit aber noch an dem Klang, den Bäume und Zäune am Spielplatz produzieren, wenn man mit meinem Stock dagegen haut.

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Kinderlieder und Reime

Musik entdecken mit Kindern

Für die gemeinsame Entdeckungsreise durch die vielfältige Welt der Musik hole ich für meinen Sohn übrigens gerne die Musikperlen meiner Jugend heraus – und nein, ich spreche nicht von Mr. President. In den 90er Jahren gab es zum Beispiel noch Sprechgesang, bei dem weder Mütter beleidigt noch Kilo verschoben wurden. Außerdem gibt es inzwischen schon zu jedem Genre passende Kindermusik – Heavysaurus machen Metal für Kinder, Deine Freunde oder Bürger Lars Dietrich rappen für kleine Hörer und Klassik ist ohnehin sehr zugänglich für kleine Ohren. Sehr empfehlen kann ich auch das Musikhörspiel „Eule findet den Beat“. Dabei gibt es nicht nur Songs zu hören, sondern ihr erfahrt auch noch viel Spannendes über die verschiedenen Genres. Ein solches Erleben von musikalischer Vielfalt ermöglicht es unseren Kindern, ihren eigenen Geschmack zu entwickeln. Traut euren Kindern dabei ruhig den Blick über den Tellerrand zu – Jazz, Klassik, Rap, Metal, Rock, Volksmusik oder eben Eurodance – alles darf mal angehört werden. Kinder zeigen im Gegensatz zu uns Erwachsenen offen und spontan, was ihnen gefällt und was sie doof finden. Das bietet Raum, um mit ihnen über das Gehörte ins Gespräch zu kommen: Magst du diese Musik? Wie fühlt sie sich an? Welche Klänge hörst du? Aber natürlich ist das nur „Meta-Ebene“. Der intimste Musikmoment ist und bleibt das gemeinsame Musizieren oder Tanzen – egal in welcher musikalischen Qualität dargeboten.

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Kinderlieder und Reime

Du kannst nicht singen

Bleibt zum Abschluss nur noch eine Frage: Warum tun wir uns als Erwachsene nur so schwer ungehemmt und offen mit unseren Kindern zu singen und zu tanzen? Schief oder konzertreif, ungelenk oder bühnenreif – dem eigenen Nachwuchs sind Talent und Rhythmus-Gefühl von Mama und Papa völlig egal. Gerade im Kindergartenalter sind sie bedingungslose Fans der Eltern. Einen großen Anteil an der Hemmung könnte der Musikunterricht aus der eigenen Schulzeit haben. Lange galt Vorsingen vor der ganzen Klasse als profundes Mittel, das musikalische Talent zu messen oder Kinder zu bestrafen. Die Lehrerin ließ mich trotz fehlendem Gesangstalent und Stimmbruch „My Heart will go on“ von Celine Dion singen, allein vor der ganzen Klasse, neben dem Klavier. Urteil: Du kannst nicht singen. Wer wie ich so eine niederschmetternde Bewertung durch Musiklehrkräfte alter Schule erhalten hat, hat sie meist bis heute im Kopf. Dabei weiß man längst, dass es völlig unmusikalische Menschen gar nicht gibt. Das Gefühl, nicht singen oder tanzen zu können, entsteht vor allem durch mangelnde Übung und fehlende Routine. Und genau hier kommen wieder unsere Kinder ins Spiel. Mit ihnen zusammen können wir die Freude an der Musik und dem Tanzen wieder neuentdecken. Und wem das ganze Gesinge und Getanze trotzdem noch unangenehm ist, für den habe ich zwei „Denkanstöße“: Beim Singen und Tanzen kann man die Vorhänge zuziehen und die Fenster schließen, dann bleibt man unentdeckt. Und der Zeitpunkt, an dem Mama oder Papas Tanzeinlagen peinlich werden, kommt schneller als man denkt. Plötzlich stehen wir dann vor unserem Nachwuchs, wollen uns zu Matze die Katze drehen und bekommen für diesen Wunsch nur noch ein genervtes Augenrollen.  

Welche Kinderlieder laufen bei euch in Dauerschleife? Macht ihr regelmäßig mit euren Kindern Musik? Welche Erinnerungen habt ihr an den Musikunterricht? Verratet es uns in den Kommentaren!

Birk Grüling

Birk Grüling ist vormittags schreibender und nachmittags spielender und vorlesender Papa. Als freier Autor schreibt er nicht nur Texte für Kinder, sondern auch für Medien wie Spiegel Online, RND, Süddeutsche Zeitung, Eltern oder DAD über Väterrollen, frühe Kindheit und digitale Bildung. Leseliebe ist für ihn ... eine tolle Gelegenheit für gemeinsame Momente zum Kuscheln und Träumen. 

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Birk Grüling

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