Artikel: 3-10 Jahre
 
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Interview: Erste Hilfe für Schlafprobleme bei Kindern

Hat dein Kind Schlafstörungen? Angst im Dunkeln? Einschlafprobleme? Leseliebe hat dazu eine Expertin befragt!  

Leseliebe: Was kann ich tun, wenn mein Kind abends einfach nicht zur Ruhe kommt? 

Anna Möller-Wolf: Viele Kinder sind abends so erfüllt von den Erlebnissen des Tages, dass sie Schwierigkeiten haben, in den Schlaf zu finden. Hier ist es hilfreich, wenn Sie im Sinne einer Schlafhygiene Einschlafrituale nutzen. Jeden Abend gibt es die gleiche Folge von Abläufen und abhängig vom Alter auch einen Zeitraum, in welchem über die Erlebnisse des Tages gesprochen werden kann. Immer wiederkehrende Abläufe (Zähne putzen, Gute-Nacht-Geschichte (bei kleineren Kindern auch mehrmals dieselbe), Schlaflied) vermitteln dem Kind Sicherheit, geben Struktur und helfen dabei, zur Ruhe zu kommen und abzuschalten. 

„Einschlafen bedeutet für Kinder Trennung. Trennung vom Tag, Trennung von etwas Spannendem, Trennung von den Eltern – wer macht das schon gerne?“ – Prof. Michael Schulte-Markwort, UKE 

Leseliebe: Was hilft meinem Kind bei Angst im Dunkeln, vor Geistern oder Monstern?

Anna Möller-Wolf: Ängste vor Monstern und Geistern, Hexen und Gespenstern (magischen Gestalten) gehören in bestimmten Lebensphasen zu einer gesunden Entwicklung dazu. Insbesondere im Alter zwischen drei und fünf Jahren wird das kindliche Denken von diesen magischen Gestalten beherrscht und kann den Schlaf stören. So erscheint es Kindern in diesem Alter als reale Möglichkeit, dass sich ein Monster unter dem Bett versteckt oder die Hexe aus dem Märchen plötzlich im Zimmer steht. Gespräche mit den Kindern über Realität und Fantasie, das Lesen thematisch passender Bücher, der gemeinsame Blick unter das Bett, ein Nachtlicht im Zimmer helfen, einen Umgang mit diesen Ängsten zu finden.  

Leseliebe: Muss ich mir Sorgen machen, wenn mein Kind jede Nacht ins Elternbett kommt?

Anna Möller-Wolf: Ich kenne kein Kind, das mit 18 Jahren noch im Elternbett schläft. Vor diesem Hintergrund rate ich in diesem Zusammenhang zu Gelassenheit. In der Regel haben Kinder gute Gründe, wenn sie die Nähe der Eltern brauchen. Häufig sind es Gedanken und Gefühle, die sich im Unterbewusstsein abspielen und so nicht klar benennbar sind. Stärken Sie Ihr Kind, es immer wieder im eigenen Bett zu versuchen. Mit einer Familie habe ich als Sicherheit für das Kind einmal einen Bindfaden vom Kinder- zum Elternbett gelegt. Wie eine „Nabelschnur“ die dem Kind die innerlich vorhandene Verbundenheit auch ganz real zeigt. 

Leseliebe: Was tue ich, wenn mich mein Kind nach der Gute-Nacht-Geschichte nicht gehen lassen will?

Anna Möller-Wolf: Für manche Kinder bedeutet das Einschlafen, in eine unbekannte Welt einzutauchen, die mit Bedrohungen oder Einsamkeitsgefühlen verbunden ist. Einschlafen ist in diesem Fall eine Frage des Sicherheitsgefühls. Kinder versuchen, diese Situation zu umgehen, indem sie die Eltern durch Fragen, die Bitte nach etwas zu trinken, einen Toilettengang oder ähnliches im Zimmer oder in der Nähe halten. Hier hilft häufig ein Kuscheltier, eine Puppe, ein sogenanntes Übergangsobjekt. Dieses erlangt etwa ab dem 6. Lebensmonat seine Bedeutung und stellt nach D. Winnicott (psychoanalytische Objektbeziehungstheorie) eine Verbindung zwischen der inneren und äußeren Welt des Kindes dar. Zum einen werden dem Tier oder der Puppe in der inneren Welt des Kindes Eigenschaften zugeschrieben, es wird mit subjektiven Inhalten gefüllt, die für das Kind gerade wichtig sind und Bedeutung haben. Auf der anderen Seite stellen Sie reale Gegenstände dar, die berührt und gekuschelt werden können. Auf diese Weise können Übergangsobjekte genutzt werden, um die gerade abwesende Bezugsperson zu vertreten und sie vorübergehend zu ersetzen. So helfen sie, Zustände des Alleinseins, wie das Einschlafen oder nächtliches Erwachen, zu bewältigen und Ängste zu überwinden. 

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Leseliebe: Was hilft meinem Kind bei Albträumen?

Anna Möller-Wolf: Albträume können aufgrund von Erlebnissen entstehen, die bisher nicht verarbeitet wurden, oder sie begleiten normale Reifungsprozesse des Kindes. Manchmal sind sie auch eine Reaktion auf einen Fieberschub. Die zugehörigen Gefühle wie Angst, Wut, Trauer werden im Traum erneut durchlebt und führen zu nächtlichem Erwachen. Meist treten diese Angstträume nicht in der Tiefschlafphase sondern erst im letzten Drittel der Nacht auf. In der Regel werden Kinder auch am nächsten Morgen noch von dem Albtraum berichten können. 

Davon zu unterscheiden ist der sogenannte, meist harmlose Nachtschreck (Pavor nocturnus), bei dem Kinder in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachsein festhängen. Sie lassen sich trotz angstvollem Schreien nicht wecken, reagieren nicht auf die Eltern und lassen sich auch nicht beruhigen. Der Nachtschreck tritt in der Regel im ersten Drittel der Nacht auf und endet nach einiger Zeit genauso plötzlich, wie er begonnen hat. Am nächsten Morgen können sich die Kinder an die nächtliche Situation nicht mehr erinnern.  

Grundsätzlich ist es wichtig, nach einem Albtraum auf die erlebten Gefühle einzugehen. Meist steht Angst im Vordergrund. Wenn das der Fall ist, wäre so eine Situation eine Gelegenheit, um das Kind im Elternbett schlafen zu lassen. Hier fühlt es sich geborgen und sicher und wird schneller wieder einschlafen. Gespräche über das Erlebte sollten nicht in der Nacht stattfinden, sondern auf den nächsten Morgen oder Tag verschoben werden. In der Nacht werden die Gefühle ernst genommen, gleichzeitig sollte man nur leise sprechen und verdeutlichen, dass trotz des Erlebten "Schlafenszeit" ist. 

Albträume und Nachtschreck sind unangenehm, aber nicht gefährlich. Erst wenn der Schlaf Ihres Kindes mehrfach in der Woche gestört wird, sollten Sie einen Arzt aufsuchen und Ihrem Kind helfen lassen. 

Wusstest du, dass

die Wissenschaftler Genuneit et al. (2017) die Schlafqualität kleiner Kinder untersuchten und herausfanden, dass die abendliche Nutzung elektronischer Medien die Schlafqualität negativ beeinflusst, während das Vorlesen oder Anschauen von Büchern am Abend sogar vor nächtlichem Erwachen zu schützen scheint? (SPATZ Gesundheitsstudie, Ulm) 

Leseliebe: Mein Kind will nicht woanders übernachten. Wie kann ich ihm die Angst davor nehmen?

Anna Möller-Wolf: Viele Kinder haben zunächst Angst, woanders als zu Hause zu schlafen. Erste Übernachtungen außer Haus sollten dann nach Möglichkeit an Orten stattfinden, die den Kindern vertraut sind, z.B. bei Oma und/oder Opa. Außerdem gibt es den Kindern Sicherheit wenn vor einer Übernachtung Absprachen getroffen werden. Solch eine Absprache könnte so aussehen, dass Sie vereinbaren, das Kind auf jeden Fall um Mitternacht abzuholen. Die so hergestellte Sicherheit verhilft häufig dazu, dass das Kind tatsächlich in der fremden Umgebung einschläft und Sie um zwölf ein friedlich schlafendes Kind vorfinden. Dieses Erlebnis und die tolle Einschlafleistung Ihres Kindes können Sie dann bei nächster Gelegenheit hervorheben und die Zeitspanne erhöhen. Oder Sie können gleich vorschlagen, dass Sie es abholen, sollte es nachts aufwachen, Sie ihm allerdings zutrauen, dass das Einschlafen und dann Durchschlafen erneut klappen. Da manchmal eher wir Eltern als die Kinder Probleme mit dem „Loslassen“ haben, sollte man in solchen Situationen auch seine eigene Einstellung kritisch hinterfragen. Möchten wir wirklich, dass unser Kind woanders schläft? Sprechen Sie sich und Ihrem Kind Sicherheit zu und freuen Sie sich über die neuen Horizonte die sich mit so einem Schritt für beide Seiten auftun. 

Leseliebe: Mein Kind wacht nachts immer wieder auf. Was kann ich tun?

Anna Möller-Wolf: In der Nacht durchlebt ein Kind verschiedene Schlafphasen, in welchen es unterschiedlich tief schläft und teilweise auch wach wird. Das ist ein ganz normaler Prozess. Um bei diesem nächtlichen Erwachen ohne Schwierigkeiten wieder einschlafen zu können, muss das Kind zunächst lernen, abends alleine einzuschlafen. Erst wenn ihm das möglich ist, wird es auch beim nächtlichen Erwachen wieder alleine in den Schlaf finden. Aktuelle Studien deuten außerdem darauf hin, dass das abendliche Lesen dem nächtlichen Aufwachen entgegenwirkt. Daher rate ich generell dazu, eine Gute-Nacht-Geschichte in das Einschlafritual mit einzubeziehen 

Kinder- und Jugendpsychotherapeutin

Anna Möller-Wolf

Anna Möller-Wolf arbeitet seit Mai 2014 in einer eigenen Praxis als niedergelassene Kinder- und Jugendpsychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Davor war sie neun Jahre lang in verschiedenen Kinder- und Jugendkrankenhäusern im psychotherapeutischen Bereich tätig. Außerdem ist sie staatlich anerkannte Kinderkrankenschwester, KUGA®-Trainerin zum kontrollierten Umgang mit physischer Gewalt und Aggressionen und lesebegeisterte Dreifach-Mutter. Leseliebe bedeutet für sie, „Erfahrungen in der wunderbaren Welt der Bücher zu sammeln“. 

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Kinderpsychotherapeutin Anna Möller-Wolf

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