lustig - vielschichtig - lehrreich

Was passiert, wenn in einer Familie auf einmal jeder der Bestimmer sein will? Dann wird ein Bilderbuch zum raffinierten Spiegelbild unserer Gesellschaft und das ist absurd, lustig, lehrreich und durch und durch kindgerecht! 

Familie Wiefel besteht aus Papa, Mama, der siebenjährigen Anki und ihrem kleinen Bruder Spätzchen. Anki hat an ihrem Geburtstag beschlossen, nun groß genug zum Selbstbestimmen zu sein. Und wenn Anki selbst bestimmen darf, will es das Spätzchen auch. Seitdem wird in Familie Wiefel nur noch gestritten. Ob es um das Abendessen oder Freizeitaktivitäten geht, nie können sich die Familienmitglieder auf etwas einigen. Jeder will bestimmen. Also probieren sie nacheinander alle möglichen Ideen aus, um den Bestimmer-Streit zu lösen. Sie testen ein Bestimmer-Karussell und Lose, die den Bestimmer oder die Zuständigkeiten festlegen sollen. Ein anderes Mal versuchen sie, allen Wünschen gerecht zu werden. Sie stimmen demokratisch über Entscheidungen ab und legen einzelne Bestimmer-Bereiche fest. Doch wenn jeder alles nur noch für sich alleine macht, ist man gar keine richtige Familie mehr, erkennt Spätzchen traurig. Schließlich finden sie mit der Wahl einer Familienregierung eine Lösung. 

Lustig und anschaulich erklärt Juli Zeh in diesem Bilderbuch, dass keine gemeinsame Lösung möglich ist, solange jeder nur seine eigenen Interessen durchsetzen will. Das, was sonst im abstrakten Großen der Politik und Gesellschaft passiert, erlebst du hier im nahbar Kleinen der Familie. Wie in einem demokratischen System bemüht sich Familie Wiefel intensiv darum, verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen. Sie finden immer wieder neue Lösungsansätze und reden, reden und streiten. Der Streit wird hier aber nie persönlich und hat nicht das Geringste damit zu tun, ob der eine den anderen mag oder nicht. Es geht hier um die Sache. Das ist sehr erfrischend für ein Kinderbuch und vielleicht die wichtigste Botschaft des Buches: Streit über unterschiedliche Meinungen ändert nichts an der persönlichen Beziehung. Man kann sich vertragen und weiter nach einer Lösung suchen. Das ist zeitraubend und anstrengend, auch bei Familie Wiefel. Deswegen gibt es Abend für Abend Käsebrote und keiner bekommt wirklich das, was er will, solange bis eine Einigung erzielt ist.  

Politik kann trocken sein. Hier ist sie es ganz bestimmt nicht. Bunte Bilder begleiten den Text mit viel Spaß an dem kniffligen Bestimmer-Streit. Darunter gibt es symbolkräftige Darstellungen, zum Beispiel von einer Kreuzung, an der alle in unterschiedliche Richtungen marschieren oder einer Treppe als Sinnbild von Hierarchie. Die lebendigen Illustrationen von Dunja Schnabel bringen das Absurde vieler Lösungsansätze gelungen auf den Punkt. Und lustige Details wie die genderfreie Schildkröte Rainer-Maria oder das Käsebrot-Abendessen zaubern immer wieder ein amüsiertes Schmunzeln auf das Gesicht. Das gilt gleichermaßen für die erwachsenen Vorleser wie für die kindlichen Zuhörer. In „Jetzt bestimme ich, ich, ich“ zeigen Bild und Text gemeinsam mit großer Leichtigkeit die Schwächen und Stärken der Demokratie auf, befassen sich mit Gerechtigkeit, Sinnmäßigkeit und Individualität in der Gemeinschaft. Dieses Buch zeigt: Gesellschaft und Politik kann man mit dem System Familie großartig erklären und das sogar noch lustig und unterhaltsam.  

Wie wichtig ist es dir, dein Kind schon früh an anspruchsvolle Themen heranzuführen? Kennst du noch andere Bücher, die abstrakte Lebensbereiche für Kinder verständlich machen? Schreib uns einen Kommentar!