Artikel: Kinderbuchmacher Christian Tielmann im Interview
 
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Christian Tielmann über Kinderbuch-Held Max

Der sympathische Autor Christian Tielmann spricht mit Leseliebe über das Kinderbuchmachersein und seinen Helden Max.

Leseliebe: Herr Tielmann, schon seit 1999 schreiben Sie sehr erfolgreich Kinderbücher für verschiedene Verlage. Wie sind Sie zu einem „Kinderbuchmacher“ geworden?

Christian Tielmann: Das war im Studium. Ich saß mit meinen Geschwistern zusammen und wir haben uns alle vollgejammert, weil wir im Examen waren oder kurz davor oder kurz danach. Jedenfalls hatten wir keine Zeit für Urlaub. Ich dachte: Christian hör auf zu jammern, viele Bauern machen nie Urlaub, weil sie nicht wissen, wohin mit den Tieren … obwohl … die könnten die Tiere ja mitnehmen! Das war die Idee für eine Geschichte. Sie heißt „Bauer Beck fährt weg“ und ist, genau wie Max, seit rund zwanzig Jahren lieferbar. So kriegte Bauer Beck seinen ersten Urlaub und ich den Job meiner Träume. Dafür bin ich ihm und seinen treuen Leserinnen und Lesern sehr, sehr dankbar.

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Innenseite Max feiert Geburtstag

Leseliebe: Was macht ein gutes Kinderbuch für Sie aus?

Christian Tielmann: Für mich sind gute Kinderbücher arm an Klischees, reich an Sprachwitz, originell bebildert und niemals hochnäsig gegenüber den kindlichen Leserinnen und Lesern.

Leseliebe: Sie sind unter anderem als Autor verschiedener Kinderbuchreihen bekannt. Seit 2003 schreiben Sie zum Beispiel immer wieder neue Geschichten rund um den kleinen Max für Kinder ab 3 Jahren. Wie wurde die Idee für die Max-Bilderbücher geboren?

Christian Tielmann: Das weiß ich noch genau! Das war ich gar nicht. Ich kam zum Carlsen-Verlag damals. Der Carlsen Taschenbuch-Verlag war gerade gegründet worden, Anne Bender hatte die Programmleitung und ich war für Gespräche mit ihr über neue Bücher im Haus. Bei der Gelegenheit hat mich eine Lektorin aus einer anderen Abteilung, das war Susanne Schürmann, angesprochen, ob ich nicht auch Lesemäuse schreiben wolle. Arbeitstitel war „Konrad“ und es sollten Geschichten aus dem Kinderalltag werden. Da habe ich sofort zugesagt und mich sehr gefreut. Ich habe aus Konrad dann „Max“ gemacht und ihm Pauline an die Seite gestellt.

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Innenseite Max feiert Geburtstag

Leseliebe: Wie ist es für Sie, dass dieser kleine Kinderbuch-Held Sie schon so lange begleitet? Unterscheidet sich das Schreiben von Buchreihen-Titeln vom Schreiben einzelner Kinderbücher?

Christian Tielmann: Dass Max nun schon seit mehr als zwanzig Jahren über meinen Schreibtisch turnt, ist für mich eine absolute Ausnahmeerscheinung – und ein riesiger Glücksfall. Es ist immer ein Stückchen „nach Hause kommen“, wenn ein neuer Max an die Reihe kommt. „Da bist du ja wieder“, denke ich dann und entwickle eine neue Geschichte.

Der Unterschied zwischen Reihen und Einzeltiteln ist riesig: Ein Held wie Max entwickelt sich zwar weiter, aber im Grunde bleibt das Personal immer gleich. Bei einem Buch wie der Raupe Nimmersatt, verschwindet die Birne und die Pflaume oder Orange ja, wenn die Raupe damit fertig ist und vor allem wird die Heldin, die Raupe, am Schluss ein Schmetterling. Da ist ein zweiter Band ausgeschlossen. Denn was soll man mit so einem Helden noch anfangen? Obwohl … man könnte natürlich erzählen, wie der Schmetterling am Montag von einem Vogel gefressen, wird, der Vogel am Dienstag von einer Katze verspeist wird, die am Mittwoch vom Auto … das am Donnerstag in der Schrottpresse … Nein. Das geht nicht. Die Raupe Nimmersatt ist ein klarer Fall von einem (toll erzählten!) Einzeltitel. Max hingegen kann noch die nächsten zwanzig Jahre drei bis sechs Jahre alt sein und seinen Alltag meistern, gerade weil er sich nicht in einen Schmetterling verwandelt.

Leseliebe: Beschreiben Sie uns Max doch mal aus Ihrer Sicht als geistiger Papa der Buchfigur: Was macht Max als Kinderbuch-Helden aus?

Christian Tielmann: In einem der frühen Mäxe, dem Wackelzahn, kommt Max auf die wunderbare Idee, dass er seine Milchzähne nicht mehr putzen müsse. Schließlich fallen die ja aus. „Ich spül sie ab, wenn sie ausgefallen sind“, sagt Max. Das ist für mich typisch Max. Er hat Ideen, denkt irgendwie kindlich-pragmatisch und manchmal einen Hauch abwegig. Aber nur einen Hauch. Ferner gelingt bei ihm nicht immer alles auf Anhieb, es kann auch mal was schiefgehen, aber dann fasst er Mut, steht wieder auf und probiert es halt noch einmal.

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Innenseite Max hat keine Angst im Dunkeln

Leseliebe: Neben den Max-Büchern für Kleine schreiben Sie auch Erstlesebücher, Sachbücher, Geschichten für ältere Kinder und Jugendliche und auch Erwachsenenbücher. Was mögen Sie am Schreiben für so unterschiedliche Altersgruppen besonders? Was sind für Sie die größten Herausforderungen?

Christian Tielmann: Die Abwechslung kommt mir sehr entgegen. Ferner brauchen manche Ideen eine bestimmte Altersgruppe und da ist es ganz praktisch, dass ich inzwischen so viele Leserinnen und Leser in so unterschiedlichen Lebensphasen habe.
Die größte Herausforderung ist eigentlich immer derselbe Mist: die Krise am zweiten Tag der Arbeit. Am ersten Tag eines neuen Projekts starte ich voll Euphorie und absolut gesundem Größenwahn. Am zweiten Tag lese ich den Kram vom ersten Tag durch. Das Ergebnis ist normalerweise KRISE und absolut ungesunder Kleinheitswahn. Die Herausforderung ist natürlich, den zweiten Tag zu überstehen, mich wieder aufzuraffen, durch den Wald zu laufen und darüber nachzudenken: Warum Krise? Woran liegt es? Was funktioniert bei dieser Geschichte nicht? Dieser zweite Tag, der manchmal auch eine Woche dauern kann, ist mitunter recht anstrengend. Auch für meine Umwelt. Eine echte Herausforderung eben.

Leseliebe: Über welches Kompliment von Ihren Leserinnen und Lesern freuen Sie sich am meisten?

Christian Tielmann: Ich habe mal eine Fan-Mail bekommen mit dem Foto eines Jungen, der auf dem Sofa liegt und ein Buch von mir liest. Der Vater schrieb mir dazu, dass das für ihn an ein Wunder grenze, da der Junge eine Lese-Rechtschreib-Schwäche habe und er war so dankbar, dass sein Sohn freiwillig liest. Das ist schon einige Jahre her. Aber ich freu mich immer noch über dieses gigantische Kompliment.

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Max hört auf sein Bauchgefühl Innenseite

Leseliebe: Sie haben einen magischen Wunsch frei und dürfen drei Bücher bestimmen, die jedes Kind auf der Welt in seiner Kindheit liest. Was für Kinderbücher sollten das sein, was die Kinder im Idealfall daraus mitnehmen?

Christian Tielmann: Nö, auf das Spiel kann ich mich unmöglich einlassen! Die Kinder auf der Welt leben in so unterschiedlichen Bedingungen und haben so verschiedene Bedürfnisse, so verschiedene Alltage und Lebenswirklichkeiten, aus denen sie mit einer Geschichte fliehen können, das können keine drei Titel (und seien sie noch so meisterlich) leisten. Aber der diesem magischen Wunsch zugrundeliegende Gedanke, dass alle Kinder auf der Welt lesen können (das ist noch nicht mal hier in Deutschland der Fall) gefällt mir sehr. Also machen wir einen anderen magischen Wunsch draus: Ich nutze diesen Wunsch, um jedem Kind seinen perfekten BuchHÄNDLER, seine perfekte BuchHÄNDLERIN an die Seite zu stellen, also eine Person, die aus dem Dschungel der lieferbaren Titel das perfekt passende Buch für dich zieht – denn ich bin mir ziemlich sicher, dass gilt: Wer nicht gerne liest, hat das falsche Buch in der Hand.

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Cover Max macht Ferien

Leseliebe: Welches Kinderbuch oder welche Lese-Situation hat in Ihrer eigenen Kindheit einen Eindruck hinterlassen, der bis heute nachwirkt und warum?

Christian Tielmann: Das Buch hieß „Nie wieder Hühnchen“ (von Dick King) und ich war in der vierten Klasse. Der Eindruck, der bis heute nachwirkt: „Wow! Ich kann lesen!“ Das hatte bei mir die ersten zwei bis drei Schuljahre nämlich nicht geklappt mit diesen ganzen Buchstaben und war auch danach noch mit viel Stottern und Stammeln verbunden. (Ehrlich gesagt war Lesen für mich in der Grundschule (und je nach Lehrpersonal auch danach noch) der pure Stress und wie die ganze Schulzeit eine einzige Quälerei.) Ich habe also ungefähr eine halbe Seite pro Tag geschafft, aber irgendwann war ich abgetaucht in die Welt der Geschichte und plötzlich hatte ich dieses Buch komplett selbst gelesen. Die Geschichte ist übrigens lustig: Die Hühner wehren sich gegen die frechen Füchse, indem sie wieder fliegen lernen, sich ins Gewächshaus setzen, damit die Eier in ihren Bäuchen hartgekocht werden und dann beschießen sie die angreifenden Füchse im Sturzflug mit hartgekochten Eiern. Große Klasse!

Leseliebe: Ergänzen Sie doch netterweise den folgenden Satz für uns: Leseliebe ist …

Christian Tielmann: … der kleine Urlaub von der blöden Realität da draußen.

Autor

Christian Tielmann

Trotz Lese-Rechtschreib-Schwäche studierte der erfolgreiche Kinderbuchautor Christian Tielmann Philosophie und Germanistik. Ja, er trägt sogar einen Doktor-Titel der Philosophie. Schon während des Studiums veröffentlichte er seine erste Kinderbuchgeschichte, und seitdem hat er mit dem Schreiben nicht mehr aufgehört. Seine oft sehr humorvollen Bücher wurden bis heute bereits in mehr als 30 Sprachen übersetzt und helfen Kindern sehr effektiv dabei, ihre Freude am Lesen zu entdecken.

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Kinderbuchautor Christian Tielmann im Interview mit Leseliebe

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